Donnerstag, 2. Januar 2014

Njala und die Ethik

In den letzten Wochen hab ich einige Dinge miterleben müssen, die ich nicht wertfrei beschreiben kann. Sicher mit einer der Gründe, warum ich mich etwas rar gemacht habe.
Täglich wird mir ein Blick auf die Zukunft geschenkt. Und zwar auf meine mögliche Zukunft.

Nehmen wir doch einmal an wir leben zwanzig und mehr Jahre an einem bestimmten Ort. In einem Haus, das wir selbst mit gebaut haben. Wir haben den Maurern nicht nur Schnitten gemacht, sondern auch noch Steine geschleppt und Schubkarren geschoben. Wir kennen und lieben jeden Winkel in unserem Haus, in unserem Ort. Kennen die Menschen, die Natur.
Die Kinder sind irgendwann flügge geworden, sie wollten weder die Gegend, die wir so lieben, noch das Haus. Aber so ist das eben mit den Kindern. Sie beschreiten ihre eignen Wege, leben ihr eignes Leben, so soll es auch sein.
Wir haben uns ja fürs Alter unser Paradies geschaffen. Aber dann kommt der Verfall, die Zipperlein. Anfangs beißt man noch die Zähne zusammen und richtet sein Augenmerk lieber auf den schwächeren Lebenspartner, umhegt, umsorgt ihn, bis er dann doch geht. Einsamkeit schlägt zu wie eine Keule und legt sich nicht bloß schwer auf der Seele nieder, nein, der gestresste Körper will jetzt auch nicht mehr wie er soll. Es folgen Aufenthalte in Kliniken, die Ärzte sollen's richten, aber man ist ja alt, da wird nicht mehr viel investiert.
Langsam baut sich aus Frust wieder Kampfgeist auf, scheiß auf Rollator, scheiß auf Rollstuhl, wir werden wieder gehen, langsam, ganz langsam, wir schaffen das!
Dann, der nächste Sturz - besorgte Ärzte raten besorgten Kindern. Wir sollen nicht mehr allein sein dürfen, jemand muss da sein, betreuen, aufpassen. Verfügungen über unseren Kopf hinweg und plötzlich finden wir uns in einer Einrichtung wieder, 500km entfernt von UNSEREM PAradies, UNSERER Welt. Die Kinder erzählen uns, sie werden das Haus verkaufen, das WIR mit Schweiß und Entbehrungen gebaut und gehalten haben, sie lösen den Haushalt einfach auf. Wir versuchen noch ein paar Sachen zu retten, sagen die möge man uns bitte bringen, aber die Kinder kennen unser Leben schon lange nicht mehr, sie finden unter den vielen Sachen die nicht, die uns so am Herzen liegen. Dann ist der Haushalt aufgelöst und alles zu spät.
Wir weinen, weil das nicht unser Schlafzimmer ist, unsere Matratze, unsere Nachbarn, unser Ort, unsere Bäume vor dem Haus.
Dann kommen nach 14 Tagen Ärzte, verpassen uns Psychopharmaka, damit wir aufhören zu weinen. Unsere Kinder und Pfleger schauen uns verständnislos, kopfschüttelnd an und meinen:
Nun hör schon auf damit, DU MUSST JETZT ENDLICH MAL HIER ANKOMMEN, es ist halt wie es ist.
40 Jahre fürn Arsch innerhalb von 14 Tagen.
Schöne neue Welt.

3 Kommentare:

rheinland-blogger hat gesagt…

Hallo Njala,
ein Text, der nachdenklich stimmt. Glücklicherweise kennen wir den Zeitpunkt nicht, wann dieser lebensentscheidende Sturz kommt, der uns ins Pflegeheim bringt. Wenn man selbst mit seinen eigenen Händen ein Haus gebaut hat und es irgendwann verkaufen muss, dann ist das sicherlich schicksalshaft und traurig. Umgekehrt wohne ich in einem Ort, in dem ich eigentlich gar nicht so richtig wohnen will (Satellitenstadt von Bonn). Das ist auch O.K. so, ich habe selbst nicht gebaut, aber ich würde niemals unserem Haus hinterhertrauern (wenn es eine sinnvollere Wohn-Alternative gibt). Überhaupt finde ich, dass wir Deutsche uns viel zu intensiv mit unserem Eigentum befassen und und viel zu wenig mit uns selbst. Haben und Sein - dazu gibt es ein schönes Buch von Erich Fromm. Zum Schluß muss ich festhalten, dass Du ein hoch interessantes Thema aufgegriffen hast, zu dem es sicherlich höchst unterschiedliche Meinungen gibt.

Gruß Dieter

Njala hat gesagt…

Hallo Dieter,

und ganz lieben Dank für deinen ausführlichen, offenen Kommentar! Vielleicht ist diese Sache ja geschlechterspezifisch, so dass ein Mann da pragmatischer denken kann? Wenn ich, und das kann ich gar nicht oft genug betonen, nochmal nachrechne sind 90% der Bewohner in der (zumindest unserer) Einrichtung weiblichen Geschlechts. Diese Frauen haben oft jahrelang unter Entbehrungen ihre Männer gepflegt und werden dann von den Kindern 'abgegeben'. Also die Zuflucht, die sie andren geschenkt haben, erhalten sie selbst am Ende nicht.
Wenn ich dann noch von mir ausgehe möchte ich mich nicht Kilometer von meiner Heimat entfernt wiederfinden, nichtmal die Häuser und Bäume der Umgebung wiedererkennen könnend. In 'fremder' Erde begraben werden? Niemals! Da begehrt alles in mir jetzt schon auf.
Und Trauerprozesse mit Psychopharmaka anzugehen zeugt von einem ziemlich miesen Spiegel unserer Gesellschaft.

Liebe Grüße,
N.

EQ hat gesagt…

Ach Njala.... wir beide verstehen uns im Moment ja nur zu gut.
Das hier ist so ein guter Text, den möchte ich am liebsten ausdrucken, einrahmen und in allen Altenheimen (nicht nur da) an die Wände hängen! DANKE!

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