In unserem Haus über mir wohnt eine
Frau – ja ich schreib das extra dazu, denn es gibt auch männliche
Diva's - mittleren Alters, mittelgroß und von hagerer Gestalt.
Leider viel zu hoch trägt sie ihre schmale, spitze Nase im kantigen
Gesicht was ihrer Erscheinung etwas leicht rattenhaftes verleiht. Die
kinnlangen, einst strahlend blonden Haare werden inzwischen
durchsträhnt um den grauen Ansatz etwas zu verschleiern. Darüber
mache ich mich allerdings nicht lustig, denn ich muss ebenfalls Graue
verstecken, nur dass ich aus Protest kontinuierlich schwarz färbe.
Was sie trägt ist Parfum und das dick auf, so dass das Treppenhaus
noch Stunden nach ihrem Abgang schwer danach riecht. Die Kleidung
scheint recht farbenfroh, naja einiges davon hängt wochenlang in der
Waschküche und wird so wohl etwas von ihrem Glanz einbüßen. Über
ihre Augenfarbe kann ich gar nichts sagen, da sie einem so selten
hineinsieht. Vermute blassblau, das allerdings reine Spekulation.
Diese Mitbewohnerin heisst im Haus auch
'die Diva' was mehrere Gründe hat:
Zum einen hängt neben ihrer
Eingangstür ein selbstgemaltes Bild. Es zeigt eine Sängerin in
ausladendem, rüschenbeschwerten Ballkleid. Darunter steht mit
tanzenden Buchstaben: Königin der Nacht. Einigen ist diese Figur aus
Mozart's Zauberflöte sicherlich ein Begriff.
So ist es tatsächlich wie man vermuten
könnte: Unsere Diva singt gern. Von ihrem Balkon herab in den Wald
hinein – buchstäblich. Sopran, jedenfalls glaubt sie das.
Darüberhinaus spielt sie Akkordeon und übt sehr viel, ebenfalls mit
Gesang. Nein – wir können uns nicht dagegen wehren, ist beinah so
als wohnte man neben einer ständig ausgebuchten Kulturhalle oder
neben einem Theater, nur dass sich das Programm nicht ändert.
Nun wäre gegen das Musizieren wie ich
das Geträller mit viel Wohlwollen nenne, ja noch nicht mal gar so
viel einzuwenden. Hin und wieder packe auch ich meine Gitarre aus,
spiele ein wenig und singe dazu, aber leise und im Zimmer, wie viele
andere Lagerfeuermusikanten auch.
Niemand würde sich über diese
Zwangsaufführungen beklagen wenn, ja wenn sie sich sonst benehmen
würde wie man es von einem netten Nachbarn oder Mitbewohner
erwartet.
Weit gefehlt. Seit wir hier wohnen tut
sie so als gehörte das Haus ihr alleine. Hier wohnt sonst niemand
mehr, nur die Königin der Nacht müsst ihr wissen.
Ach, ich vergaß - doch, doch. Wir,
ihr Personal. Denn wenn es um die Dinge geht die erledigt werden
müssen die die Hausgemeinschaft betreffen ist nur noch das Personal
zuständig. Mülltonnen raus -und wieder reinstellen, Bürgersteig
und Aufgang fegen, mal Spinnenweben in der Waschküche entfernen,
dafür sorgen dass Abflüsse frei bleiben und nicht von Blättern
bedeckt werden, den Rasen oder die Büsche vorn etwas kultivieren,
Dreck aufheben, den Wanderer im Vorgarten hinterlassen oder nur mal
'ihre' Zeitung oder Werbung mitnehmen – alles Aufgabe des
Personals.
Und da es da noch viel, viel mehr und
auch wenig leckres zu erzählen gäbe könnt ihr euch vielleicht
vorstellen, dass das Personal sich eines Tages zusammengeschlossen
und gekündigt hat.
Nun zerreißen sich Diva und Nachbarn
das Maul über das faule Personal und alles verkommt.